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Feinde stärken dich, Verbündete schwächen dich.
Imperator Elrood IX.,
Erkenntnisse auf dem Totenbett
Nachdem er sich von den Schlägen der Inkvinepeitsche erholt hatte, arbeitete Gurney Halleck zwei Monate lang im Zustand ängstlicher Lähmung, der schlimmer war als alles, was er in den Sklavengruben erlebt hatte. Eine hässliche Narbe zeichnete seinen Kiefer, ein blutroter Striemen, der ständig pulsierend schmerzte. Obwohl die eigentliche Wunde verheilt war, brannten die Rückstände des Gifts nach wie vor in seinen Nervenzellen. Es war, als hätte sich ein erstarrter Blitz unter der Haut seines Unterkiefers und seiner Wange eingenistet.
Aber es waren nur Schmerzen. Das konnte Gurney aushalten. Körperliche Verletzungen bedeuteten ihm nicht mehr viel; sie waren zu einem dauerhaften Bestandteil seiner Existenz geworden.
Viel größere Angst bereitete ihm die Tatsache, dass er nur geringfügig bestraft worden war, nachdem er Glossu Rabban angegriffen hatte. Der stämmige Harkonnen hatte ihn ausgepeitscht, und die Wachen hatten ihn anschließend kräftig verprügelt, sodass er drei Tage im Lazarett verbringen musste. Er hatte schon viel schlimmere Vergeltungsmaßnahmen wegen weitaus banalerer Vergehen erlebt. Was hatten sie wirklich mit ihm vor?
Er erinnerte sich an das stumpfe Schimmern der kalkulierten Grausamkeit in Rabbans Augen. »Finden Sie heraus, woher er stammt. Und stellen fest, ob noch irgendjemand aus seiner Familie lebt.« Gurney befürchtete das Schlimmste.
Zusammen mit den anderen Sklaven erfüllte er mechanisch seine tägliche Arbeit, während die wachsende Besorgnis in seiner Magengrube ihn immer schwerer zu Boden drückte. Er schuftete abwechselnd an den Hängen von Mount Ebony und in den Obsidian-Fabriken. Frachtschiffe landeten in der Nähe der Garnison und der Sklavenbergwerke und schafften die Container voller glühendem, scharfkantigem Vulkanglas fort, damit es vom Haus Hagal weiterverkauft werden konnte.
Eines Tages holten ihn zwei Wachen formlos aus den Laugenbecken. Gurney war halbnackt und tropfnass von der öligen Emulsion, die auf die uniformierten Wachen spritzte, als er auf den offenen Platz hinausstolperte, wo Glossu Rabban die Häftlinge inspiziert hatte.
Jetzt sah er dort ein niedriges Podium und davor einen einzelnen Stuhl. Keine Ketten, keine Shigadraht-Fesseln ... nur ein Stuhl. Der Anblick bereitete ihm tiefstes Entsetzen. Er hatte keine Ahnung, was ihn erwartete.
Die Wachen stießen ihn auf den Stuhl und traten dann zurück. Ein Arzt aus dem Gefangenenlazarett hielt sich in der Nähe bereit, und ein Trupp Harkonnen-Soldaten marschierte auf den Platz. Die anderen Sklaven setzten ihre Arbeit in den Gruben und Becken fort. Gurney wusste also, dass das bevorstehende Ereignis privater Natur war ... ein Spektakel, das nur ihm zu Ehren veranstaltet wurde.
Das machte es noch viel schlimmer.
Je deutlicher Gurney seine Unruhe zeigte, desto mehr Spaß machte es den Wachen, ihm Antworten zu verweigern. Also verstummte er, während die zähe Flüssigkeit zu einem knisternden Film auf seiner Haut trocknete.
Der Arzt, den Gurney inzwischen gut kannte, kam näher. In der Hand hielt er ein gelbes Fläschchen mit einer winzigen Nadel. Gurney hatte diese Vorrichtungen schon häufiger im Lazarett gesehen, wo sie in einem durchsichtigen Behälter untergebracht waren, aber er war bisher nie damit behandelt worden. Der Arzt schlug das spitze Ende ins Genick des Gefangenen, als wollte er eine Wespe töten. Gurney krampfte sich zusammen; all seine Muskeln waren plötzlich angespannt.
Eine warme Taubheit breitete sich wie heißes Öl in seinem Körper aus. Seine Arme und Beine wurden bleischwer. Er zuckte ein paarmal, und dann konnte er sich gar nicht mehr bewegen. Er konnte weder den Kopf drehen noch grimassieren oder auch nur mit den Augen blinzeln.
Der Arzt rückte den Stuhl herum und drehte Gurneys Kopf, als wollte er eine Puppe in die richtige Position bringen. Nun war er gezwungen, genau auf das niedrige Podium zu blicken. Mit einem Mal wurde Gurney klar, worum es sich handelte.
Eine Bühne. Und er sollte dem zuschauen, was darauf stattfinden würde.
Glossu Rabban kam aus einem der Gebäude. Er trug seine beste Uniform und wurde vom Fabrikverwalter begleitet, der ebenfalls eine dunkle, saubere Uniform angelegt hatte. Der dürre Mann mit dem Kugelbauch hatte zu diesem Anlass sogar auf seine Nasenfilter verzichtet.
Rabban baute sich genau vor Gurney auf, der sich nichts mehr wünschte, als aufzuspringen und den Mann zu erdrosseln. Aber er konnte sich nicht rühren. Die lähmende Droge fixierte ihn wie ein Schraubstock, also konnte er nur so viel Hass wie möglich in seinen Blick legen.
»Gefangener«, sagte Rabban und verzog die dicken Lippen zu einem obszönen Lächeln. »Gurney Halleck aus dem Dorf Dmitri. Nach deinem Angriff auf mich gaben wir uns große Mühe, deine Familie ausfindig zu machen. Von Hauptmann Kryubi hörten wir von den widerlichen kleinen Liedern, die du im Gemeinschaftshaus gesungen hast. Obwohl dich seit Jahren niemand mehr im Dorf gesehen hat, hielt niemand es für nötig, dein Verschwinden zu melden. Bevor sie an den Folgen der Folter starben, sagten einige, sie wären davon ausgegangen, wir hätten dich in der Nacht geholt. Diese Idioten!«
Gurney geriet immer mehr in Panik. In seinem Kopf waren nur noch flatternde schwarze Flügel. Er wollte nach seinen armen und anspruchslosen Eltern fragen ... aber er befürchtete, dass Rabban ihm ohnehin antworten würde. Er konnte kaum noch atmen. Sein Oberkörper verkrampfte sich und kämpfte gegen die Lähmung. Als sein Blut kochte und sein Zorn wuchs, war er nicht mehr in der Lage, einen Atemzug zu tun. Der Sauerstoffmangel machte ihn schwindlig.
»Dann wurde plötzlich alles klar. Wir erfuhren von deiner Schwester, die im Freudenhaus arbeitet ... und dass du einfach nicht die natürliche Ordnung der Dinge akzeptieren wolltest.« Rabban zuckte mit den breiten Schultern, und seine Finger näherten sich bedeutungsschwer der Inkvinepeitsche an seinem Gürtel, jedoch ohne sie zu berühren. »Jeder andere kennt seinen Platz auf Giedi Primus, nur du nicht, wie es scheint. Also haben wir beschlossen, dir mit einer Gedächtnisstütze zu helfen.«
Er stieß einen theatralischen Seufzer aus, der seiner Enttäuschung Ausdruck verleihen sollte. »Bedauerlicherweise waren meine Truppen etwas zu ... übereifrig ..., als sie deine Eltern baten, sich hierher zu begeben. Ich fürchte, dein Vater und deine Mutter haben die Meinungsverschiedenheit nicht überlebt. Allerdings ...«
Rabban hob eine Hand, worauf die Wachen zum Vorratsschuppen eilten. Von außerhalb seines Sichtfeldes hörte Gurney Geräusche und dann den wortlosen Schrei einer Frau. Obwohl er sich nicht umdrehen und nachsehen konnte, wusste er, dass es Bheth war.
Sein Herz setzte einen Schlag aus, als ihm erleichtert bewusst wurde, dass sie noch lebte. Er hatte vermutet, dass die Harkonnens sie kurz nach seiner Gefangennahme im Freudenhaus getötet hatten. Aber nun wusste er, dass man sie lediglich für ein viel schlimmeres Ende am Leben gelassen hatte.
Sie zerrten Bheth zum hölzernen Podium. Sie trug nur ein zerrissenes Sackkleid und wehrte sich heftig. Ihr flachsblondes Haar war lang und wild. Ihre Augen waren angstgeweitet, und sie wurden noch größer, als sie ihren Bruder sah. Wieder bemerkte er die weiße Narbe an ihrer Kehle. Sie hatten Bheth die Fähigkeit geraubt, zu singen oder zu sprechen – und ihre Fähigkeit zu lächeln.
Ihre Blicke trafen sich. Bheth konnte nichts sagen. Und Gurney war ebenfalls nicht in der Lage, sie anzusprechen oder auch nur einen Finger zu heben.
»Deine Schwester kennt ihren Platz«, sagte Rabban. »Sie hat uns sogar recht gute Dienste geleistet. Ich habe die Unterlagen durchgesehen, um eine genaue Zahl zu ermitteln. Dieses Mädchen hat 4620 Mitgliedern unserer Truppe Freude bereitet.« Rabban klopfte Bheth auf die Schulter. Als sie mit den Zähnen nach seinen Fingern schnappen wollte, packte er den Stoff ihres Kleides und riss es herunter.
Die Wachen zwangen sie, nackt auf das Podium zu treten – und Gurney konnte sich immer noch nicht rühren. Er wollte die Augen schließen, aber die Lähmung verhinderte es. Obwohl er verstand, wozu sie man sie in den vergangenen sechs Jahren gezwungen hatte, war der erneute Anblick ihrer Nacktheit schrecklich. Ihr Körper war völlig zerschunden, ihre Haut ein Flickenteppich aus dunklen Flecken und hellen Narben.
»Nicht viele Frauen in unseren Freudenhäusern halten so lange durch wie sie«, sagte Rabban. »Sie hat einen starken Überlebenswillen, aber jetzt geht ihre Zeit zu Ende. Wenn sie sprechen könnte, würde sie uns versichern, wie glücklich sie ist, dem Haus Harkonnen diesen letzten Dienst erweisen zu können – nämlich dir eine Lektion zu erteilen.«
Gurney strengte sich mit aller Kraft an und zwang seine Muskeln, endlich zu reagieren. Sein Herz pochte rasend, und Hitze strömte durch seinen Körper. Aber er war immer noch nicht zur winzigsten Bewegung imstande.
Der Fabrikverwalter kam als Erster. Er öffnete sein Gewand, und Gurney musste mit ansehen, wie der widerliche Mann Bheth auf der Bühne vergewaltigte. Dann waren fünf der Wachmänner an der Reihe, die auf Rabbans Befehl agierten. Der breitschultrige Unhold beobachtete gleichzeitig das Spektakel auf der Bühne und die Reaktionen des Gefangenen. Gurneys hilfloser Zorn wuchs ins Unermessliche, dann wünschte er sich innig, er könnte seinen Geist ausschalten, einfach in einen tiefen Schlaf fallen. Aber er hatte keine solche Fluchtmöglichkeit.
Rabban selbst kam als Letzter und kostete die Situation bis zum Äußersten aus. Er war rücksichtslos und brutal, obwohl Bheth inzwischen vor Schmerzen fast bewusstlos war. Als er fertig war, legte Rabban die Hände um Bheths Hals mit der weißen Narbe. Sie wehrte sich nur noch schwach. Rabban drehte ihren Kopf herum und zwang sie, ihren Bruder anzusehen, während seine Finger ihre Kehle umklammerten. Er stieß noch einmal in sie, dann spannten sich seine Armmuskeln an. Er drückte immer fester zu, bis Bheths Augen hervorquollen.
Gurney musste hilflos zusehen, wie sie starb ...
In doppelter Hinsicht befriedigt stand Rabban auf, trat zurück und knöpfte seine Uniform zu. Er blickte lächelnd auf die beiden Opfer. »Lassen Sie ihre Leiche hier liegen«, sagte er. »Wie lange hält die Lähmung ihres Bruders an?«
Der Arzt eilte dienstbeflissen herbei, als wäre nichts weiter vorgefallen. »Bei dieser kleinen Dosis noch ein oder zwei Stunden. Eine größere Menge Kirar hätte ihn in Tiefschlaftrance versetzt, aber das wollten Sie ja nicht.«
Rabban schüttelte den Kopf. »Er soll hierbleiben und sie anstarren, bis er sich wieder bewegen kann. Ich will, dass er endlich seine Fehler einsieht.«
Lachend ging Rabban davon, gefolgt von seinen Wachen. Gurney blieb allein auf dem Stuhl zurück. Er trug keine Ketten oder Fesseln, konnte sich aber trotzdem nicht rühren. Er musste unentwegt auf Bheths reglose Gestalt auf dem Podium starren. Blut tropfte aus ihrem Mund.
Doch selbst die Lähmung durch die Droge konnte nicht verhindern, dass Gurney Tränen über das Gesicht liefen.